Wolfgang Kartte, Berlin, Ende Juli 2001
Soziale Marktwirtschaft in Indonesien
Inseln machen munter – Ein neuer Anlauf – Marktwirtschaft ist keine westliche Erfindung – Freie Marktwirtschaft, Soziale Marktwirtschaft – Wohlstand für alle – Offenes System – Balance zwischen Markt und Marx – Soziale Marktwirtschaft und Globalisierung – Wenn der Fisch vom Kopf her stinkt – Bankensektor, Konkursrecht, Dezentralisierungsgesetz – Wettbewerbsrecht schützt auch vor Ausbeutung von außen – Internationale Wettbewerbskonferenz für ASEAN -
Indonesien ist mit rund 210 Millionen Einwohnern das Land
mit der viertgrößten Bevölkerungszahl – nach der Volksrepublik
China, Indien und den USA. Sein Staatsgebiet umfasst rund 13.000 Inseln, von
denen knapp 7.000 bewohnt sind.
Die vielen Inseln und die Vielfalt der Region haben in Indonesien Menschen hervorgebracht,
die beweglich, wach, neugierig und für Neues aufgeschlossen sind. Die Inseln
machen munter. Auf einer Insel hat man immer neue Horizonte im Blickfeld, hier
ist Beweglichkeit angesagt.
Diese Theorie hat mir ein Professor vermittelt, der Indonesien
kennt und Land und Leute studiert hat. Den Zusammenhang zwischen Inseln und
Munterkeit versteht man besser, wenn man sich ein Gegenbeispiel, sagen wir Russland,
vor Augen führt. In Moskau habe ich fünf Jahre lang als Regierungsberater
gearbeitet. Im Gegensatz zu den Indonesiern leben die Russen auf einer riesigen,
oft eintönigen Landmasse. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass
die Menschen dort eher bedächtig und Neuem gegenüber eher misstrauisch
sind.
Indonesien ist nicht nur ein großes und munteres, sondern auch ein schönes
Land. Und das gilt nicht nur für die Insel Bali, wo die holländischen
Seeleute, als sie dort im Jahre 1597 erstmals anlandeten, das Paradies entdeckt
zu haben glaubten.
Indonesien ist auch reich, reich an natürlichen Ressourcen
wie Erdöl, Erdgas und metallischen Rohstoffen. Der Regenwald gehört
dazu, aber da wird ja leider Raubbau getrieben. Die klimatischen Bedingungen
für die Landwirtschaft sind gut.
Alles in allem ist Indonesien ein Land, auf das seine Bewohner stolz sein können.
Und es lohnt sich, darüber nachzudenken, wie die Wirtschaftskrise bekämpft
und endlich der Wohlstand geschaffen werden kann, den das Land verdient.
Der friedliche Regierungswechsel von Abdurrahman Wahid zu Megawati Sukarnoputri am 23. Juli war ermutigend. Er hat allen gezeigt, dass die Demokratie in Indonesien funktioniert. Jetzt kann die neue Regierung die dringend notwendigen Reformen angehen.
Bis zur Krise 1997/98 war die indonesische Wirtschaft bemerkenswert erfolgreich. Nach der Befreiung durch Sukarno und Hatta hatte das Land in wenigen Jahrzehnten große Fortschritte gemacht. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften stellt in ihrem Bericht an den Rat und das Europäische Parlament vom 2. Februar 2000 fest, dass Indonesien von den sechzigern bis in die neunziger Jahre hinein eine von nur drei Volkswirtschaften in der Welt war, die auf der weltweiten Wachstumsskala von ganz unten nach ganz oben aufgestiegen waren. Dies habe einen deutlichen Rückgang der Armut und bedeutende soziale Fortschritte mit sich gebracht, vor allem in den Bereichen Bildung und Gesundheit.
Dieses Wachstum, so meint die Kommission weiter, habe jedoch auf einem schwachen Bank- und Finanzsystem basiert. Auch Vetternwirtschaft und Korruption hätten die Finanzkrise in der Region verursacht. In Indonesien, dem ärmsten der betroffenen Länder, sei das wirtschaftliche und politische System besonders instabil und undurchsichtig gewesen. Der von der Krise ausgelöste Wechsel in der politischen Führung von Suharto zu Habibie sei ebenfalls dramatischer als in den anderen Staaten der Region verlaufen, so dass Indonesien von allen Ländern am stärksten unter der Krise gelitten habe.
Die Erholung der Wirtschaft ist bisher nicht so recht vorangekommen. Die Staatsverschuldung ist dramatisch angestiegen, die Direktinvestitionen sind stark zurückgegangen, die Kapitalflucht hält an. Ein sozialer Fortschritt findet nicht mehr statt. Nach einem durchschnittlichen Jahreswirtschaftswachstum von 6, 5 Prozent im Zeitraum 1967 bis 1997 schrumpfte die Wirtschaft 1998 um fast 14 Prozent. Im laufenden Jahr wird ein nur geringes Wachstum erwartet.
Das wohl größte Hindernis für eine gesunde Entwicklung der indonesischen Wirtschaft sind die herrschende Vetternwirtschaft und Korruption. Hier muss zuerst etwa geschehen. Nötig ist darüber hinaus ein wirtschaftspolitisches Konzept, eine Leitlinie für die Politik, die eine rasche und dauerhafte Belebung der Wirtschaft verspricht. An einer erfolgreichen Wirtschaft hängt nun einmal alles, der soziale Fortschritt und die Festigung der Demokratie. Ohne Wohlstand läuft nichts, mit leerem Magen sind wir alle unzufrieden und unberechenbar.
Marktwirtschaft ist keine westliche Erfindung
Heute, nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer Satelliten, bezweifelt weltweit niemand mehr, dass die Marktwirtschaft das beste aller bisher erprobten Wirtschaftssysteme ist. Die letzten Verfechter der sozialistischen Staatswirtschaft, Kuba und Nordkorea, sind der lebendige Beweis dafür, wie schlecht es der Bevölkerung unter derartigen Systemen geht.
Marktwirtschaft ist keine westliche Erfindung. Sie ist überhaupt keine Erfindung, kein Kunstprodukt. Marktwirtschaft ist vielmehr ein Archetypus, eine Urform, eine menschliche Grundstruktur, die sich überall dort entfaltet, wo Freiheit herrscht und wo ein Markt ist, auf dem Anbieter und Nachfrager von Gütern zusammentreffen.
Schon in ältesten Zeiten begannen die Menschen Handel zu treiben, so bald sie etwas zum Tauschen oder Verkaufen hatten. Auch in der früheren Sowjetunion, wo von 1917 bis zum Ende der achtziger Jahre über 70 Jahre lang strikte Staatswirtschaft herrschte, gab es „graue“ und „schwarze“ Märkte. Und als das neue Russland sich öffnete, zeigten sich sofort Hunderte und Tausende von Unternehmern. Ähnliche Erfahrungen machen wir überall, wo versucht wird, Märkte zu unterdrücken, und wo dann die Freiheit durch jede Ritze dringt.
Der Erfolg der Marktwirtschaft gegenüber den verschiedenen Formen der Zentralverwaltungswirtschaft beruht darauf, dass sie mit der menschlichen Natur geht und sich den normalen Egoismus der Menschen zunutze macht. Der beste Anreiz für einen Produzenten, gute Produkte zu einem günstigen Preis anzubieten und für einen Konsumenten, das günstigste Angebot herauszusuchen, ist das natürliche Streben der Akteure nach wirtschaftlichem Erfolg, Besitz und Wohlstand.
Die sozialistische Staatswirtschaft scheiterte immer wieder daran, dass sie sich nicht aus der Realität heraus entwickelt hat, sondern von Karl Marx mit dem Kopf ausgedacht worden ist. Sie scheiterte an der Illusion, der Mensch werde von der Sehnsucht nach einer klassenlosen Gesellschaft angetrieben. Oft kam ihr auch das allzu Menschliche in die Quere, dass nämlich Staatsfunktionäre, die sich selbst als Unternehmer betätigen, nur selten der Versuchung widerstehen können, in die eigene Tasche zu wirtschaften.
Auch die ärmere Bevölkerung profitiert von der Marktwirtschaft. Kein sozialistisches Wirtschaftssystem hat es je geschafft, den Menschen mehr als das Existenzminimum zu bieten. Demgegenüber ist in marktwirtschaftlich orientierten Ländern die Lage der „kleinen Leute“ durchweg besser. Dies hat sich auch in Indonesien bewiesen.
Freie Marktwirtschaft, Soziale Marktwirtschaft
In der Praxis unterscheiden wir die amerikanische Spielart der Marktwirtschaft, die sogenannte „freie“ Marktwirtschaft, und die europäische Spielart, die sogenannte „soziale“ Marktwirtschaft.
Ein Nachteil der freien Marktwirtschaft ist, dass der Reichtum sich in den Händen Weniger anhäuft. Freie Märkte weisen einen natürlichen Hang zur Konzentration der Produktionsfaktoren „Kapital“, „Wissen“ und auch „Grund und Boden“ auf.
Je größer nämlich die Ressourcen und demzufolge die wirtschaftliche Macht und der politische Einfluss eines Unternehmers sind, umso besser sind seine Entwicklungs- und Gewinnchancen. Umso weniger läuft er auch Gefahr, dass er im Markt nicht zurecht kommt oder von Konkurrenten eingeholt wird.
So kauft der eine den anderen auf, bis nur noch wenige Spieler übrig sind. Die teilen dann den Markt unter sich auf. Dieser Konzentrationsprozess ist in die freie Marktwirtschaft gewissermaßen „eingebaut“.
Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft zielt darauf ab, die Vorteile der Marktwirtschaft nicht nur einem kleinen Kreis von besonders geschäftstüchtigen oder besonders rücksichtslosen , besonders „cleveren“ Zeitgenossen zugänglich zu machen, sondern „Wohlstand für alle“ (Ludwig Erhard) zu schaffen.
Gerade auch für Indonesien, das in seiner Verfassung auf die Gemeinschaft und auf den gesellschaftlichen Ausgleich setzt, ist die Soziale Marktwirtschaft das passende Modell.
Die Soziale Marktwirtschaft fragt nicht nur danach, ob alle an den Vorteilen der Marktwirtschaft beteiligt sind. Ihr geht es auch darum, dass der Gewinn gerecht, das heißt fair und akzeptabel verteilt wird.
Vor allem eine ausreichende Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung ist ohne staatliche Zuschüsse, die aus einer Umverteilung der Einkommen gewonnen werden müssen, nicht möglich. Auf den Gebieten der Erziehung und Gesundheitsfürsorge, der Arbeitsbeschaffung, der Kreditversorgung der mittelständischen Wirtschaft, der Landreform, des Rechtsschutzes für Arbeitnehmer und Mieter, des öffentlichen Personennahverkehrs, der Infrastruktur sowie des Umweltschutzes sind staatliche Korrekturen unverzichtbar. Demgemäss ist die Steuerlast in Ländern mit Sozialer Marktwirtschaft im allgemeinen höher.
Zur freien wie zur sozialen Marktwirtschaft gehört ein wirksames Wettbewerbsrecht, das sich gegen wettbewerbsbeschränkende Absprachen, gegen den Missbrauch marktbeherrschender Macht und gegen marktbeherrschende Zusammenschlüsse von Unternehmen richtet.
Die Soziale Marktwirtschaft ist kein starres, sondern ein, wie wir sagen, offenes System. Die Bedürfnisse der Gesellschaft nach gerechter Einkommensverteilung können sich mit der Zeit ändern. Damit ändern sich auch die Prioritäten der Sozialen Marktwirtschaft.
Es gibt auch nicht „die“ Soziale Marktwirtschaft, die für alle Länder gleich ist. Gewiss, ein paar Grundvoraussetzungen sind nötig. Ohne freie Preise, freien Marktzugang, stabiles Geld, ohne Schutz des Wettbewerbs und ohne eine funktionierende Bürokratie geht Marktwirtschaft nicht. Das konkrete Erscheinungsbild wird aber, jeweils unterschiedlich von der Geschichte, den Traditionen, kurz gesagt, von der Kultur des Landes und seiner Bewohner geprägt.
Balance zwischen Markt und Marx
Deutschland, in dem die Soziale Marktwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg „erfunden“ wurde, ist mit ihr zu großer wirtschaftlicher Blüte gelangt. Inzwischen gibt es auch Probleme, weil wir die soziale Komponente zu weit getrieben haben. Unser Sozialsystem ist nicht mehr zu bezahlen, so dass die Regierung hier Abstriche machen muss. Mittlerweile scheint die Bevölkerung sich aber daran gewöhnt zu haben, dass ihr gleichsam die gebratenen Tauben in den Mund fliegen.
In der Balance zwischen Markt und Marx, zwischen Selbstverantwortung und Versorgungsdenken, liegt die größte Schwierigkeit für die Aufrechterhaltung der Sozialen Marktwirtschaft. Für die staatliche Wirtschafts- und Sozialpolitik ist es immer wieder ein Gratwanderung, und Kurskorrekturen lassen sich nur schwer und keinesfalls abrupt durchsetzen.
Aber auch die Verfechter der freien Marktwirtschaft nach amerikanischen Muster haben ihre Sorgen. Extremer Reichtum in abgeschotteten Wohngebieten auf der einen Seite, ein gestresster Mittelstand und Arbeitslosigkeit und Slums für die unterste Bevölkerungsschicht auf der anderen Seite stimmen für die Zukunft des Systems nicht optimistisch.
Soziale Marktwirtschaft und Globalisierung
Angesichts der fortschreitenden Globalisierung wird der Ruf nach Sozialer Marktwirtschaft immer lauter. Für die großen Industrieländer bedeutet ja Globalisierung der Wirtschaft in erster Linie die Freiheit, überall ihr Kapital arbeiten zu lassen und ihre Fertigwaren abzusetzen sowie überall Zugang zu den Rohstoffen zu haben. Viele Entwicklungs- und Schwellenländer wollen sich einer Ausbeutung durch die großen Industrienationen nicht ausgesetzt sehen, sondern streben für ihren Binnenmarkt, aber auch im Hinblick auf ihre künftige Rolle in der Weltwirtschaft eine sozial gerechte Wirtschaftsordnung an.
Amartya Sen, ein Inder, der 1998 den Nobelpreis für Wirtschaft erhielt und, nach Harvard, jetzt an der Universität Cambridge lehrt, hat kürzlich darauf hingewiesen, dass die bisherige Architektur der internationalen Politik, Wirtschaft und Finanzen, zu der Einrichtungen wie die Weltbank und der Internationale Währungsfond gehören, bereits 1944 auf der Konferenz von Bretton Woods beschlossen wurde und daher ein halbes Jahrhundert alt ist.
Bretton Woods ist ein Ort in New Hampshire in den USA, wo im Juli 1944 die Währungs- und Finanzkonferenz der UNO mit 44 Staaten stattfand. In den Abkommen von Bretton Woods wurden die Errichtung der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds beschlossen. Die Verträge wurden von 29 Staaten ratifiziert und traten 1946, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in Kraft. Sie führten, wie wir wissen, zu einer Neuordnung der Weltwirtschaft und dem Aufbau einer neuen internationalen Währungsordnung.
Damals standen Asien und Afrika größtenteils noch unter Kolonialherrschaft. Die Bereitschaft, wirtschaftliche Ungleichheit und Armut hinzunehmen, war erheblich größer als heute. Die Idee der Menschenrechte und der Umweltschutz waren politisch noch nicht entwickelt, und die Demokratie galt noch nicht als universelles Menschenrecht. Heute, mehr als 50 Jahre danach, so meint Sen, sei diese Weltwirtschaftsarchitektur veraltet. Grundlegende Veränderungen in der Politik und weitere Reformen in den Institutionen seien nötig.
Sen hat sicher recht, wenn er sagt, dass die gegenwärtigen Machtstrukturen im Lichte der neuen politischen Realitäten unter die Lupe genommen werden müssen. Auch das Machtgleichgewicht, das der Festschreibung des Status quo in den vierziger Jahren zu Grunde gelegen habe, muss infrage gestellt und neu bestimmt werden. In diesem Zusammenhang weist Sen auf die Absurdität hin, dass die fünf Mitgliedstaaten des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, der für die Erhaltung des Weltfriedens zuständig ist, zugleich die fünf wichtigsten Waffenlieferanten der Welt sind. Hier hat die Kritik an der Globalisierung unter Führung der G 8 ihre Wurzeln.
Wenn der Fisch vom Kopf her stinkt
Indonesien - Die wichtigste Aufgabe der neuen indonesischen Regierung auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik besteht darin, das Vertrauen der in- und ausländischen Investoren in den Standort Indonesien wiederherzustellen. Dafür reicht es nicht aus, neue Gesetze zu erlassen. Die besten Gesetze nützen nichts, wenn es an der Rechtsstaatlichkeit der politischen Führung, der staatlichen Bürokratie und der Justiz fehlt.
Hier liegt die erste Priorität. Die neue Regierung muss zuerst damit anfangen, in Politik, Administration und Justiz wirksame, transparente und rechenschaftspflichtige Strukturen aufzubauen, den öffentlichen Dienst zu reformieren und die Korruption zu bekämpfen. Nur so kann die Demokratie gefestigt, das Vertrauen in die staatlichen Entscheidungen gestärkt und der wirtschaftliche Aufschwung eingeleitet werden.
Für all dies gilt, dass „der Fisch vom Kopf her stinkt“. Wenn die Politiker, die jetzt in Amt und Würden kommen, sich der Verantwortung nicht stellen und der Vetternwirtschaft und Korruption nicht abschwören, wird auch auf den unteren Rängen alles so weiter gehen wie bisher. Auch die intelligentesten Wirtschaftsreformen werden dann nicht greifen.
Über die neue Präsidentin sagt man, es sei ihre große Stärke, die richtigen Ratgeber auszuwählen und die richtigen Leute an die richtige Stelle zu setzen. Dazu sollten wir ihr eine glückliche Hand wünschen.
Mit gesetzlichen Verboten allein ist es nicht getan. Die Strukturen müssen geändert werden. Weniger Beamte und Richter, bessere, gesetzlich festgelegte und vorgeschriebene Ausbildung, bessere Besoldung, finanzielle Absicherung der Familie, gesicherte Rechtsstellung der Beamten- und Richterschaft gegenüber der Politik, hohes gesellschaftliches Ansehen.
Die Rechtsstaatlichkeit, die Herrschaft des Rechts, ist der wichtigste Grundpfeiler jeder Demokratie. Der Rechtsstaat begrenzt die Macht des Staates, schützt vor Willkür der Bürokratie und gibt jedem Bürger das Recht, gegen Verwaltungsakte, die ihn belasten, unabhängige Gerichte anzurufen. Gerade auch für Investoren, die ihr Geld in Indonesien anlegen wollen, ist Rechtsstaatlichkeit eine Grundvoraussetzung für ihr Engagement. Einer der wichtigsten Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft lautet: „Wirtschaftsordnung ist Rechtsordnung“.
Da ich in den letzten Jahren die indonesischen Verhältnisse
ein wenig kennen gelernt habe, weiß ich, dass das, was wir im Westen Vetternwirtschaft
und Korruption nennen, in gewissen Grenzen Bestandteil der indonesischen Kultur
zu sein scheint. Indonesische Kultur und Lebensart haben ja andere Wurzeln als
die meisten westlichen Wirtschaftsverfassungen.
In der Binnenwirtschaft, in der Provinz mögen sich die alten Sitten und
Gebräuche noch eine Weile halten. Indonesien als Wirtschaftsnation will
doch aber als Partner der großen Welthandelsländer international
geachtet und für voll genommen werden. Dann müssen sich Parlament
und Regierung in Jakarta mit ihrer zentralen Bürokratie darum bemühen,
im jährlichen Ranking der Antikorruptionsagentur Transparency International
vom fast letzten wenigstens auf einen der mittleren Plätze vorzurücken.
Das geht nicht von heute auf morgen. Aber, wie schon Mao sagte: „Auch der längste
Weg erfordert den ersten Schritt.“
Bankensektor, Konkursrecht, Dezentralisierungsgesetz
Vorankommen muss die Reform des Bankensektors. Solide Banken mit ausreichendem Eigenkapital sind für die Versorgung der Wirtschaft mit Krediten und damit für einen neuen Aufschwung unerlässlich. Die IBRA wäre heute, rein technisch gesehen, in der Lage, bei der Umstrukturierung des Bankensektors eine entscheidenden Rolle zu spielen. Sie leidet aber unter einer falschen Struktur. Die IBRA müsste, wie es nach der deutschen Wiedervereinigung die deutsche Treuhandgesellschaft war, Eigentümerin der bei ihr geparkten Vermögenswerte sein, und sie müsste bei ihren Einzelentscheidungen von der Regierung unabhängig sein. Auch hier bedarf es einer mutigen Strukturreform, wenn die IBRA funktionieren soll.
Zur Marktwirtschaft gehört ein funktionsfähiges Konkursrecht mit entsprechend geschulten, unabhängigen Konkursverwaltern und Konkursrichtern. Ohne Konkurs kein Neuanfang. Überschuldete Vermögenswerte müssen durch ein effizientes Insolvenzverfahren möglichst rasch wieder dem Markt zugeführt werden.
Wichtig ist auch, dass das neue Dezentralisierungsgesetz (Gesetz Nr. 11/1999) durchgesetzt wird. Durch das Dezentralisierungsgesetz wird die Selbstverantwortung der Kommunen ausgebaut und im Verhältnis der vier Verwaltungsebenen Kommune – Distrikt – Provinz – Staat zueinander das Subsidiaritätsprinzip gestärkt. Leider lässt die Anwendung des Gesetzes zu wünschen übrig, weil es eine erhebliche Verteilung der Haushaltsmittel sowie der bürokratischen Ressourcen von oben nach unten erfordert und damit zu Machtverlusten auf der oberen Ebene führen würde. Wie man hört, ist die Administration auf der unteren Ebene für die neuen Aufgaben auch nicht genügend ausgebildet.
Eine neue Aufteilung der Zuständigkeiten, neue Entscheidungsstrukturen, sind auch hier dringend nötig. Die Unruhen in einigen Gebieten gefährden die Stabilität Indonesiens und die Erhaltung seiner territorialen Integrität. Das Land muss, worauf auch die Europäische Kommission in dem erwähnten Bericht hinweist, ein Gleichgewicht finden zwischen der Anerkennung kultureller Unterschiede auf lokaler und regionaler Ebene einerseits und der Notwendigkeit einer kohärenten nationalen Politik andererseits.
Unter Präsident Habibie wurde auf Initiative des indonesischen Parlaments ein modernes Wettbewerbsgesetz geschaffen. Mittlerweile arbeitet die im Gesetz vorgesehene unabhängige „Kommission zur Überwachung des Wettbewerbs“ an ihren ersten Fällen.
Im Rahmen eines Projekts der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, das mein Partner vor Ort, Samuel Siahaan SH, und ich durchführen, haben wir in zahllosen Seminaren insgesamt Hunderte von Beamten, Richtern, Rechtsanwälten, Professoren, Studenten, Unternehmern und Managern in praktischen Wettbewerbsfragen geschult. Im Kontakt mit den indonesischen Partnern hat ein Team deutscher Experten einen Kommentar zum indonesischen Wettbewerbsrecht erarbeitet. Als Letztes werden wir eine Gruppe indonesischer Wirtschaftsjournalisten in Jakarta und in einem zweiwöchigen Deutschland-Seminar in Marktwirtschafts- und Wettbewerbsfragen fortbilden.
Wettbewerbsrecht schützt auch vor Ausbeutung von außen
Indonesien könnte die Wettbewerbspolitik, die im Zusammenhang mit der Globalisierung auch in den meisten westlichen Industrieländern eine Schlüsselrolle spielt, weiter ausbauen. Eine Gesetzgebung gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist ja nicht nur deshalb wichtig, um die eigenen Unternehmen von Kartellabsprachen zum Nachteil der Verbraucher abzuhalten. Das Verbot von Beschränkungen des Wettbewerbs schützt darüber hinaus das eigene Land und die eigenen Unternehmen vor einem wettbewerbspolitisch unerwünschten Aufkauf oder einer wettbewerbswidrigen Ausbeutung durch ausländische Großunternehmen.
Indonesien als der größte ASEAN-Staat mit dem zur Zeit modernsten Wettbewerbsgesetz der Region wäre geradezu dazu prädestiniert, in diesem Bereich der Wirtschaftspolitik eine Führungsrolle zu übernehmen. Jeder weiß, dass es in nächster Zukunft eine völlig offene und von jeglicher Diskriminierung freie Weltwirtschaft (noch) nicht geben wird. Überall formieren sich zunächst regionale Wirtschaftsblöcke. Die meisten Beobachter schließen nicht aus, dass es auch Handels„kriege“ geben wird, beispielsweise zwischen dem amerikanischen und dem europäischen Block.
In dieser Situation haben auch die ASEAN-Staaten allen Grund, sich über die Entwicklungen in der internationalen Wettbewerbspolitik Gedanken zu machen. Allerdings sind die Wirtschaftsstrukturen und die Interessen der großen ASEAN-Mitgliedstaaten so unterschiedlich, dass es zu einer einheitlichen Linie so bald nicht kommen wird. Aber über gewisse Grundsätze könnte man sich austauschen.
Internationale Wettbewerbskonferenz auf ASEAN-Ebene
Mein konkreter Vorschlag geht dahin, dass die indonesische
Kartellbehörde möglichst bald zu einer Internationalen Wettbewerbskonferenz
auf ASEAN-Ebene einlädt. Um kein Misstrauen zu erregen, sollten selbstverständlich
auch die „Schutzmächte“ der Region, nämlich die USA, Japan, die Volksrepublik
China, Australien und Indien eingeladen werden.
Im Westen wird eine Internationale Kartellkonferenz seit 1981 alle zwei Jahre
vom deutschen Bundeskartellamt veranstaltet. Beim letzten Mal, im Mai dieses
Jahres, diskutierten die Chefs der Kartellbehörden aus rund 60 Industrienationen
einschließlich der Europäischen Union über aktuelle Wettbewerbsfragen.
Hinzu kamen der deutsche Wirtschaftsminister, weltweit bekannte Unternehmer
und hohe Richter. Auch Indonesien, Malaysia und die Philippinen waren vertreten.
Indonesien hat jetzt, mit der neuen Präsidentin, die in der Tradition ihres berühmten Vaters, des Befreiers und Gründers der Republik, steht, eine neue Chance, seinen Bürgern Wohlstand für alle näher zu bringen. Ich habe Indonesien schätzen und lieben gelernt und bete zu meinem Christengott, dass die Präsidentin auf diesem steinigen Weg ein gutes Stück vorankommt.
Wolfgang Kartte, Juli 2001